Düsseldorf Die Vorsitzende des Verteidigungsausschuss im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sieht im Krieg in der Ukraine einen fundamentalen Umbruch. Ein Gastbeitrag.

Der Angriffskrieg der Russischen Armee gegen die Ukraine hat das weltweite Sicherheitsgefüge innerhalb weniger Tage von Grund auf verändert. Mit seinem Befehl zur völkerrechtswidrigen Invasion in ein friedliches und souveränes Nachbarland hat Wladimir Putin alle unsere Grundannahmen über ein friedliches Zusammenleben auf dem europäischen Kontinent zerstört. 

Diese fundamentalen Umbrüche haben es nötig gemacht, dass auch Deutschland seine Außen- und Sicherheitspolitik überdenkt und neu definiert. Dies musste innerhalb weniger Tage geschehen. Denn die ungeheuerlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine haben eine entschlossene Reaktion verlangt – auch von Deutschland, das in der Vergangenheit immer abwartend reagiert hat und sich meist in der pazifistischen Vermittlerrolle gesehen hat. Die Lieferung von Waffen an die Ukraine, die Zustimmung zu weitreichenden Sanktionen, wie dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsverkehr und die Errichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr und nicht zuletzt die sehr entschlossene Rede der Außenministerin vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sind Zeugnisse dieser sicherheitspolitischen Aufbruchs.

Die in diesen Tagen viel zitierte Zeitenwende bringt auch für die Bundeswehr massive Veränderungen mit sich. Denn plötzlich herrscht unmittelbar an der Außengrenze der NATO und der Europäischen Union ein Krieg, den wir alle über drei Jahrzehnte so nicht für möglich gehalten hätten. Wenngleich ich es für ausgeschlossen halte, dass sich die NATO aktiv an diesem Krieg beteiligt, ist der deutschen Bevölkerung mit enormer Wucht klar geworden, dass das Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung kein theoretisches Relikt aus dem Kalten Krieg ist. Es ist notwendig, sich darauf vorzubereiten und vor allen Dingen über Streitkräfte zu verfügen, die in einem funktionierenden Bündnis das eigene Land und seine Verbündeten jederzeit verteidigen können. 

Seit 2014 hat sich Deutschland bereits an dieser Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung versucht. Zu zögerlich, wie wir heute wissen. Denn auch acht Jahre nach dem Schock, den die Annexion der Krim bei uns hinterlassen hat, hat sich zwar einiges verbessert, im Ernstfall stünden wir aber immer noch „blank“ da, wie es der Heeresinspekteur in drastischen, aber deshalb nicht weniger treffenden Worten formuliert hat. 

Dabei ist das Soll einer Bundeswehr, die nicht nur Auslandseinsätze bestreiten, sondern auch das Land verteidigen kann, schon lange definiert. Allein es fehlten bisher die Durchsetzungsfähigkeit, der gesellschaftliche Rückhalt, das Geld und letztendlich auch der unbedingte Wille der politischen Akteure, diese Pläne umzusetzen.

Heute sieht das anders aus. Die Bundesregierung hat nach kurzer Bedenkzeit einen äußerst klaren Kurs eingeschlagen. Die Errichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr über 100 Milliarden Euro ist ein klares Signal – in die Bundeswehr, in die Gesellschaft, aber auch nach außen an unsere Partner und Verbündete: Wir meinen es ernst. Und wir werden endlich die Verpflichtungen innerhalb des Bündnisses nicht nur als Richtschnur sehen, sondern als das Minimum, das wir liefern müssen. Am deutlichsten wird das am Verteidigungshaushalt zu sehen sein. Die Zwei-Prozent-Quote der NATO wird in Zukunft durch Deutschland überschritten werden. 

Viel wichtiger wird aber, dass Deutschland die Fähigkeiten, die wir dem Bündnis zugesichert haben, in voller Ausstattung bereithalten kann. Insgesamt wird es darauf ankommen, alle Bestände vollständig aufzufüllen. Das fängt bei der Bekleidung und der persönlichen Ausrüstung an und geht über die Munition und Ersatzteile bis hin zu den Fahrzeugen, Schiffen und Großwaffensystemen. Hinzukommen die zeitnah entstehenden Fähigkeitslücken aufgrund von baldigen Nutzungsdauerenden und bereits begonnen Großprojekte. In der Bundeswehr hat sich durch das Strecken und Aufschieben von Projekten ein erheblicher Investitionsbedarf aufgestaut, der jetzt abgebaut werden kann. Die erhebliche Summe von 100 Milliarden Euro ist also weder Anlass für Fantasie-Wunschlisten noch Grund, sich um eine vermeintliche Aufrüstung zu sorgen. Sie ist schlicht die notwendige Bedingung dafür, dass die Bundeswehr so ausgestattet ist, dass es ihrem Auftrag angemessen ist. 

Dieser Auftrag besteht auch in Zukunft aus mehreren Komponenten und beschränkt sich nicht allein auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Internationale Einsätze zum Krisenmanagement und der Friedenssicherung gehören weiterhin genauso zu den Aufgaben der Bundeswehr wie die nationale Krisenvorsorge und der Heimatschutz.

Das Ziel – eine vollausgestatte Bundeswehr – bleibt also. Aber die Mittel werden erhöht und auch die Wege und Instrumente müssen sich ändern. Damit alle jetzt anstehenden Bemühungen wirken können, müssen wir den begonnen Prozess zur Anpassung der Strukturen konsequent weiterführen. Prozesse innerhalb der Bundeswehr müssen vereinfacht und Führungsstrukturen verschlankt werden. Nur so kann die Bundeswehr eine moderne, schlagkräftige Armee sein. 

Ich bin davon überzeugt, dass eine gut ausgerüstete Bundeswehr auch das richtige Personal anzieht. Denn Einsatzbereitschaft bedeutet Attraktivität. Darüber hinaus müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Expertise von Zeitsoldaten länger für die Bundeswehr nutzbar machen können. Durch die technische Entwicklung von Waffen und Waffensysteme ist der Soldatenberuf an vielen Stellen hochspezialisiert und erfordert eine lange Ausbildung. Nicht zuletzt deswegen halte ich eine Rückkehr zur Wehrpflicht für kontraproduktiv und falsch. 

Die jetzige Situation mag viele an den Kalten Krieg erinnern. Aber es ist ein vollkommen neues Szenario mit einer eigenen Logik. Wir sollten darauf nicht mit Mitteln aus dem vergangenen Jahrhundert reagieren.